Our Settlement Watch Co-Director Hagit Ofran recceived this full portrait piece on Die Rhinepfalz (for German readers) https://www.rheinpfalz.de/politik_artikel,-zionistin-aber-gegen-den-siedlungsbau-hagit-ofran-im-portr%C3%A4t-_arid,5181676.html?_ga=2.249869966.981957560.1616325354-1118856332.1615399936
Wann auch immer Ende der 1980er-Jahre die Friedensorganisation „Peace Now“ Zehntausende von Israelis für den Frieden auf die Straßen brachte – die Teenagerin Hagit Ofran stand am Rand und sah fasziniert zu. Heute ist sie 45 und leitende Direktorin des Siedlungs-Watch-Programms von Peace Now – und weiß vermutlich mehr über die israelischen Siedlungen in den palästinensischen Gebieten als irgendein anderer Israeli.
Ofran sitzt in ihrem Wohnzimmer im Jerusalemer Stadtteil Rechavia. Sie sieht sich als Workaholic, strahlt aber eine ansteckende Ruhe aus. „Ein Freund von mir sagte einmal, dass ich den wohl begehrtesten Job des Friedenslagers habe“, erzählt sie: „Er hatte recht.“ Ofran fühlt sich privilegiert, weil sie ihren Brotverdienst mit dem verbinden kann, woran sie tief im Innern glaubt: dass die Besatzung und der Siedlungsbau aufhören müssen, dass eine Zweistaatenlösung das Richtige wäre. Der Abwechslungsreichtum der Arbeit kommt ihr entgegen: Die studierte Judaistin schreibt Artikel über den Siedlungsbau, führt und verfolgt Gerichtsprozesse zu Außenposten, also über Siedlungen, die auch von Israel als illegal betrachtet werden, oft aber im Nachhinein legalisiert werden. Sie fährt regelmäßig durch das Westjordanland, um den Siedlungsbau zu dokumentieren.
„Ich bin nicht gerne wütend“
Für einige Israelis ist Ofran eine Ikone. 2014 wurde sie von der israelischen Tageszeitung Haaretz zu einer der 66 einflussreichsten israelischen Frauen ernannt. Andere sehen ihre Aktivitäten als Verrat am Aufbau des Landes und betrachten sie als diejenige, die ihre Siedlungen zerstört hat. Vor einigen Jahren, als Peace Now gerade vor Gericht gegen einen Außenposten klagte, fand sie in ihrem Treppenhaus gesprühte Morddrohungen. Dennoch liegt ihr fern, sich zu verstecken. Vorsichtig ist sie nur in einigen Siedlungen, in denen sie mehrfach von Siedlern mit Steinen beworfen wurde.
Wie bleibt sie so ruhig inmitten des Konfliktes, bei langen Arbeitstagen und als Mutter dreier Kinder? „Vielleicht sind es die Gene“, sagt sie, lächelt und zuckt mit den Achseln: „Ich bin einfach nicht gerne wütend.“
Ofran stammt aus einem religiös-zionistischen Elternhaus, kehrte in ihren Zwanzigern der Religion den Rücken, hat aber später einige traditionell-religiöse Elemente wieder in ihren Alltag integriert. Sie liebt ihre Heimatstadt Jerusalem, wegen ihrer Diversität und wegen der „Möglichkeiten, die die Stadt auch in religiöser Hinsicht bereithält“.
„Der Begriff Zionismus wurde gekapert“
Dass die Besatzung für sie so ein zentrales Thema ist, mag auch an ihrem Großvater Jeschajahu Leibowitz liegen, einem religiösen Juden und einflussreichen israelischen Philosophen, der für seine scharfe Kritik an der Besatzungspolitik bekannt war: „Er sagte, die Besatzung ist unmoralisch und furchtbar und muss aufhören.“ An jedem Schabbat besuchte die kleine Ofran mit ihrer neunköpfigen Familie die Großeltern, manchmal kamen auch ihre Cousins und Cousinen: „Das Haus war ziemlich voll. Und wir alle liebten es, mit ihm zu sprechen.“
Sie hat wohl beides von ihm geerbt: den Zionismus und den kritischen Geist. „Der Begriff Zionismus wurde gekapert, aber ich würde mich nach meiner eigenen Definition Zionistin nennen“, erklärt sie: „Ich unterstütze den Staat Israel als Heimstätte der Juden. Aber in meinem Zionismus haben die Palästinenser volle Rechte. Und sollten eines Tages die Bewohner des Staates einen Palästinenser zum Ministerpräsidenten wählen, dann sei es so. Es ist keine Bedrohung.“ Der Opa habe auch die Art ihres Denkens beeinflusst. „Wir sind mit Fragen aufgewachsen, nicht mit Antworten“, sagte einmal einer ihrer Brüder.
Der Drang, die Dinge zu hinterfragen, ist ihr geblieben. Ihr Unwille, in Klischees zu denken und in Gut-Böse-Gegensätzen zu verharren, wird deutlich in der Art und Weise, wie sie über Siedler spricht. Es würde naheliegen, mit Wut auf diejenigen zu reagieren, die sie scharf kritisieren und mitunter sogar körperlich angreifen. „Die meisten der Siedlerinnen und Siedler sind anständige Leute“, sagt sie stattdessen: „Sie stehen hinter Werten, die ich furchtbar finde, sie erlauben es sich, auf dem Land anderer Menschen zu leben, zu besetzen und andere Menschen ihrer Rechte zu berauben. Aber sie sehen das nicht so. Sie sehen das anders.“
Eine Kerze, die nicht verlischt
Es sind im Übrigen nicht die Siedler, die Ofran am meisten belasten. Es sind eher diejenigen, die eigentlich wie Ofran denken, die Sache aber für aussichtslos halten. Manchmal hat Ofran das Gefühl, dass es gar nicht mehr darum geht, Menschen von der Zweistaatenlösung zu überzeugen, sondern darum, gegen die Verzweiflung anzukämpfen. Dann ist sogar sie manchmal ihres Jobs müde.
Bisher hat sie immer Wege gefunden, ihre Batterien aufzuladen. Sie findet, es braucht eine Kerze, die nicht verlischt. Die das Feuer dann entzünden kann, wenn die Zeit dafür reif ist. Wenn es die Chance auf Frieden gibt.
Das Porträt wurde mithilfe des Instituts für Auslandsbeziehungen (ifa) erstellt. Dessen Förderprogramm Zivik unterstützt mit Mitteln des Auswärtigen Amtes weltweit zivile Friedensakteure und fördert seit 2020 auch Hagit Ofrans Projekt.